Samstag, 24. Dezember 2011



Frohe Weihnachten

 Ein Augenblick kann unendlich lang sein, wenn man etwas erwartet, das seit Tagen, ja sogar seit Wochen angekündigt wurde. So ein Augenblick war es damals, als wir Kinder am Heiligabend in der  kleinen Stube auf die Ankunft des Christkindes warten mussten. „Es dauert nur noch einen kleinen Augenblick“ meinte unsere Mutter, als Vater in die schöne Stube verschwand. Diese war schon den ganzen Tag als verbotene Zone deklariert worden, streng geheim und abgeschlossen. Alle Jahre wieder dasselbe Ritual, und doch war es für uns immer wieder eine hoch spannende Angelegenheit, die Warterei auf das Christkind...


Um den Ton in diesem video zu hören den Player oben rechts ausschalten.

...Auch an diesem Heiligabend dauerte der kleine Augenblick eine Unendlichkeit. Daran sollten wir Buben eigentlich gewohnt sein, dies wiederholte sich ja alle Jahre auf dieselbe Weise, dieses Augenblickritual. Das Weihnachtsglöcklein klingelte auch alle Jahre auf dieselbe Weise und der Baum sah auch alle Jahre gleich aus. Und trotzdem, es war immer wieder ein großes Ereignis für uns, dieser kleine Augenblick, der uns dem Fest entgegen fiebern ließ und der nie enden wollte.
  
© bei Hans-Peter Zürcher



Ein besinnliches, frohes Weihnachtsfest
wünscht Euch
Herzlichst Hans-Peter Zürcher

Freitag, 7. Oktober 2011


Das kleine Wunder

oder die verzauberte Prinzessin

Da lebte einmal ein junger, ganz unscheinbarer Mann in einem kleinen Haus in einem schmucken Dorf, unweit einer großen Stadt. Er fiel weder seinen Nachbarn, noch anderen Menschen im Dorf auf, war immer nett und zuvorkommend und war so auch sehr beliebt. Eines Tages, es war im Frühjahr und alles grünte und blühte, die Natur war wunderschön, ja schon fast überbordend anzuschauen. Hummeln und Bienen summten von Blüte zu Blüte, gierig nach Nektar suchend. Auch die Vögel zwitscherten und jubilierten, dass es eine Freude war. Eben an solch einem Tag beschloss er, nach einer klaren Vollmondnacht früh morgens, wieder einmal in die nahe Stadt zu reisen, um einen Freund zu besuchen und machte sich alsbald zu Fuß auf den Weg. Über ein großes Feld, einem kleinen, gurgelnden Bächlein entlang wanderte er einem Wald entgegen, hinter dem sich die Stadt befindet, in die er beabsichtigte, zu gehen. Die Luft roch frisch, an der Sonne war es recht mild.

Als er so in Gedanken versunken diesem Bächlein entlang ging, sagte plötzlich jemand mit lieblicher Stimme "he, du", er erschrak, schaute um sich, konnte aber niemand entdecken. “He, du" sagte die Stimme, "hier unten im Bächlein", sagte die Stimme weiter. Unser Freund, so dürfen wir ihn ruhig nennen, denn wir dürfen ihn durch diese Geschichte begleiten. Also, unser Freund blieb stehen und schaute ins Bächlein, konnte aber nichts weiter sehen, als das Wasser, das munter vor sich hin gurgelt und in dem sich der reine, klare Himmel spiegelt. Also kniete er nieder und bückte sich über das Wasser. Sehen konnte er aber nur sein eigenes Gesicht als Spiegelbild im Wasser. - Nun -, dachte er, - ich habe vielleicht nur geträumt -. Doch plötzlich, er betrachtete immer noch sein Spiegelbild, veränderte sich dieses, und er schaute in ein hübsches, ja wunderschönes Gesicht von einer jungen Frau. Er schloss seine Augen, öffnete sie wieder, aber dieses Gesicht schaute ihm immer noch entgegen. "He du, bitte hilf mir, bitte, ich weiß, dass du der einzige und auch richtige Mensch bist, der mir helfen kann. Du hast ein gutes Herz und eine reine Seele. Vor vielen Jahren wurde ich verbannt und in einen Fuchs verwandelt. Nur an solchen Frühlingstagen, bei Vollmond, bin ich für einen kleinen Augenblick befreit, und mein wahres ich darf in diesem Bächlein als mein Spiegelbild für kurze Zeit nur baden". Nun bewegte sich das schöne Gesicht ein wenig seitwärts, und da kam auch sein eigenes Spiegelbild wieder zum Vorschein. Langsam schwamm nun das schöne Gesicht weg, es wurde nun der ganze Körper dieses Wesens ersichtlich und der war eben so wunderschön wie das Gesicht. "Bitte!", sagte die Stimme "bitte, helfe mir". “Wie kann ich dir denn helfen?", wollte unser Freund wissen. "Das ist schön von dir, danke, du wirst es nicht bereuen. Du wirst dann schon das Richtige tun, aber bitte, habe keine Angst, handle wie dir dein Herz befielt und erschrecke nicht, und vor allem, habe keine Angst, bitte!".

Ganz in Gedanken versunkenen kniete er immer noch an diesem Bächlein und war sich immer noch nicht sicher, ob er jetzt geträumt oder sonst irgendwie fantasiert hatte. Er wusch sich das Gesicht mit dem kühlen Wasser, schüttelte seinen Kopf und lief weiter, denn er wollte ja eigentlich zu seinem Freund in die Stadt. Als er nun durch den Wald lief, war ihm, als sehe er weiter vorn einen Fuchs den Weg queren. - Ach -, dachte er, - vielleicht bin ich auch ein wenig verwirrt, dieser außerordentlich schöne Tag, lässt vielleicht nicht nur die Natur, die Vögel, Bienen und Hummeln überborden, sondern auch mich. Er genoss diesen Spaziergang durch den Wald, dann durch die Vorstadt bis hin zum Haus von seinem Freund. Auch hier in den Gärten sah man den Frühling sich üppig ausbreiten. Sein Freund kam ihm entgegen, begrüßte ihn herzlich und so zogen sie ein Stück gemeinsam des Weges.

Nun verbrachten die beiden diesen Tag mit einem feinen Essen, einem Glas guter Wein und einem ausgiebigen Gespräch. Darob vergaß unser Freund die Begebenheit vom Morgen. Als er sich dann gegen Abend von seinem Freund verabschiedet hatte, machte er sich auf den selbigen Wegen wie am Morgen auf den Heimweg zurück in sein Dorf. Es schien, dass dieser Tag sich so verabschieden wollte, wie er begann. Im Wald war ein Singen, Zwitschern und Jubilieren zu hören, dass es sich schon fast wie ein richtiges Konzert anhörte. Auch der Ruf eines Kuckucks war nicht zu überhören. Ein Specht klopfte hämmernd eine Höhle in einen Baumstamm für ein Nest. Aus dem nahen Feld waren Amseln mit ihren Abendliedern zu hören, die damit um die Wette sangen und das Bächlein murmelte auch munter vor sich hin. Ein wunderschöner Abend mit ebensolchem Abendrot zierte den sich dunkelblau verfärbenden Himmel.

Er hatte noch nicht den Rand seines Dorfes erreicht, da verdunkelte sich aber der Himmel fast schlagartig und ohne Vorwarnung. Schwarz, düster, bedrohend zeigt sich Landschaft und es brach ein Sturm los, wie ihn hier im Land noch nie jemand erlebt hatte. Selbst die ältesten Dorfbewohner konnten sich nicht an so etwas erinnern. Äste und andere Gegenstände wurden durch die Luft gewirbelt, Blitz und Donner, Hagel und Regenschauer brachen gleichzeitig über das Land. Wer sich jetzt noch ungeschützt im Freien aufhielt war nicht zu beneiden.

Schon beim ersten Windstoss stürzte unser Freund und blieb dann auch gleich am Boden liegen, und das war auch gut so. Direkt neben ihm stürzte ein Baum mit Krach und Getöse zu Boden. "Bitte ! bitte..........", glaubte er im brausenden und tobenden Lärm dieses Unwetters zu hören. “Bitte ! bitte ....", schon wieder. Ein Blitz nach dem anderen erhellte die Gegend gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen. Und da, da sah er plötzlich im hellen Schein, dass ein schlanker, ja fast magerer Fuchs, der ein rotes Halsband um hatte, sich mit der sich daran befindlichen Leine an einer Wildrosenstaude verfangen hatte und nicht los kam. Rundherum schlugen Blitze ein und es krachten Donnerschläge, als dass die Welt untergehen wollte. "Bitte ...!" war nun ganz deutlich zu hören. - Das war ja die Stimme von heute Morgen -, erinnerte sich unser Freund, stand auf, wurde aber gleich wieder von einem nahe einschlagen Blitz, zu Boden geworfen. Er ließ sich aber nicht abschrecken und kämpfte sich so lange gegen die Unbilden der Natur, bis er beim Fuchs war. Ihn loszulösen von diesem dornigen Strauch brauchte etlichen Aufwand. Und dann nur weg, denn der Busch stand mitten unter einer Gruppe von hohen Birken. Er war noch keine zwanzig Meter weg, zuckten wieder Blitze in nächster nähe. Da ließ er sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen, den Fuchs schützend unter sich und seine Hände schützend über seinem Kopf. Da, ein heller, großer Feuerball und gleichzeitig einen riesigen Knall. Die Birken und der Wildrosenbusch standen in Flammen und erhellten die ganze Umgebung. Und so plötzlich wie das Unwetter losbrach, so plötzlich war es auch wieder vorbei. Die Wolken verzogen sich, der helle, noch volle Mond kam zum Vorschein und die Sterne begannen zu funkeln, als ob nichts geschehen wäre.

Wie lange unser Freund so dagelegen war, wusste er nicht mehr. Aber was war denn das? unter ihm lag nicht der Fuchs, sondern das wunderschöne Mädchen, dessen Spiegelbild er heute Morgen im Bächlein erblickte. "Danke, danke mein lieber Freund, du hast mir das Leben gerettet und mich dadurch von dem mir auferlegten Fluch befreit. Ich danke dir ganz herzlich", und sie küsste ihn ganz zärtlich auf die Lippen. Er wusste nicht wie ihm geschah. Ein Glücksgefühl erfasste ihn, er konnte nicht mehr unterscheiden, war dies nun ein Märchen, oder Wirklichkeit, oder gar ein Traum.

Da sie keine Unterkunft hatte, nahm er sie mit zu sich nach Hause. So wohnte sie im kleinen bescheidenen Haus von unserem Freund und freute sich ihrer wieder erlangten Freiheit. Die beiden verliebten sich in einander und so wurden sie ein Paar.

Ein Jahr später, es war im Mai, da heirateten die beiden in der kleinen Kirche im Dorf. Ein großes Fest wurde vorbereitet, denn er war ja sehr beliebt im Dorf. Die wunderliche Geschichte vom verwandelten Füchslein kannte bald jeder und so schlossen alle auch das schöne Mädchen in ihre Herzen. Jeder im Dorf steuerte dann auch eine Kleinigkeit zu diesem großen Anlass bei. Das ganze Dorf wurde mit Fahnen festlich geschmückt und die blühende Natur trug auch das Ihrige dazu bei. Blumenkränze und Girlanden überspannten den Weg vom Haus zur kleinen Kirche. Die Braut hatte ein schlichtes weißes Kleid an, um den Hals das rote Halsband als Schmuck und über die Schulter eine Stola aus Fuchspelz. Sie sah wunderschön aus mit ihrem rotbraunen, lockig langem Haar, in die eine rote Wildrose gesteckt war. Eben so schlicht war der Bräutigam gekleidet. Alles war nun für diese Hochzeit vorbereitet und bereit, die Trauzeugen, die Eltern von unserem Freund und das ganze Dorf. Nur die Eltern der Braut fehlten, denn das Mädchen wusste nichts mehr von früher. All ihre Erinnerungen waren weg und ausgelöscht.

Gerade als eben die Kirchenglocken zu läuten begannen, fuhr eine große rote Kutsche auf dem Dorfplatz vor. Da kam nun plötzlich eine riesige Aufregung in die Hochzeitsgesellschaft, denn da stieg ein Königspaar aus dem schmucken Wagen. Als die Braut erkannte, dass da ihre Mutter und ihr Vater aus der Kutsche stiegen, liefen ihr Tränen über ihre vor Aufregung rosa gefärbten Wangen. Sie rannte auf die beiden zu, umarmte und küsste die Beiden herzlich. Und so wussten nun alle, dass dieses schöne Mädchen eine Prinzessin war. Die Hochzeit konnte nun doch noch mit beiden Familien durchgeführt werden. Ein wunderbares Fest, dauerte bis in die frühen Morgenstunden deuerte.

Das junge Paar lebte nun fortan glücklich und zufrieden in diesem bescheidenen kleinen Haus in diesem schmucken Dorf, halfen wo Not war und Hilfe notwendig und freuten sich des Lebens.

Und wenn wir in diesem Dorf, oder einem anderen, ein hübsches, glückliches und zufriedenes Paar antreffen, ja... ja dann könnte es vielleicht auch das aus unserer Geschichte sein!

© Hans-Peter Zürcher

Montag, 19. September 2011


Geleise 7

Es war einmal in einem schönen, fernen Land, da wohnte einst ein recht hübscher Jüngling. Er war rechtschaffen, war weder arm noch reich, denn er hatte nicht viel außer einem guten Herzen, einem einfachen haus und einem kleinen Garten. Er liebte die Natur über alles, er wusste, dass wenn er zu ihr gut war, würde auch sie zu ihm gut sein. So pflegte und hegte er seinen kleinen Garten, den er sich vor vielen Jahren angelegt hatte, als wäre er ein kleines Heiligtum. Dafür wurde er auch durchs Jahr reichlich belohnt. Blumen aller Gattung und zu jeder Jahreszeit blühten zwischen den großen und kleinen Steinen auf. Hummeln und Bienen wie auch Schmetterlinge, Spinnen und Käfer hatten in demselben ihre Heimat gefunden und liebten die ihnen gebotenen Unterschlupfmöglichkeiten. Seit kurzem hatten in diesem Garten sogar Eidechsen ihr Zuhause eingerichtet. Immer wieder zeichnet er diese Idylle in sein Zeichenbuch. Einzelne Blumen, die Vielfalt der Tiere und all das schöne, was ihn so erfreut.

An schönen, milden Tagen setzte er sich gerne in dieses Kleinod, beobachtete das vielfältige Treiben und ließ sich dann auch gerne mal zum träumen verleiten. Seit langer Zeit hatte er nämlich fast jede Nacht ein und denselben Traum. Ein wunder-schönes, junges Mädchen erschien ihm und lächelte ihn verzaubert und liebreizend an. Sie winkte ihn zu sich her, lachte und wenn er in ihre Nähe kam, wich sie spielend zurückt, lächelte süß und löste sich in ein Nebelchen auf, dass sich langsam in ein Nichts verwandelte.

Inzwischen sind etliche Jahre ins Land gezogen. Aus dem Jüngling wurde ein flotter Mann, sonst aber blieb alles wie es war. Sogar der allabendliche Traum vom schönen Mädchen. Auch sie scheint inzwischen älter geworden zu sein. Noch viel schöner ist sie geworden, eine richtig schöne Frau.

Der Herbst mit all seiner Pracht und seinen Düften war ins Land gezogen, schöne milde Tage mit klaren, kühlen Nächten. Auch an diesem schönen Herbstnachmittag saß er wieder in seinem Garten, um seine geliebte Natur abzuzeichnen, wie er dies schon seit vielen Jahren gemacht hatte. All seine Blumen hielt er mit Bleistift ge-zeichnet in seinem Zeichenbuch fest. Und zwischen den Blumen immer wieder das Bildnis des Mädchens, dass ihm jede Nacht im Traum erschien. Er war so in sein seine Skizzen vertieft, dass er nicht bemerkte, dass jemand hinter ihn getreten wer. Erst als er hinter sich jemand mit zartem Stimmchen sagen hörte: „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. Erschrocken drehte er sich um, hinter ihm stand ein kleines, mageres Mädchen, nicht älter als vielleicht zehn Jahre, ein hübsches Gesicht mit großen, braunen Augen. „Sag das noch einmal bitte“, sagte der Mann. „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. „Ja, aber sag einmal, wer bist denn du, wie kommst du eigentlich in meinen Garten?“ Das Mädchen lachte, „Von da“, und zeigte mit ihrem mageren Ärmchen irgendwo hin, nur nicht dahin, wo der Weg zu seinem Haus führte. „Na, geflogen wirst wohl kaum sein“ Er schüttelte seinen Kopf, -dieses Lachen, verflixt, dieses Lachen kommt mir irgendwie bekannt vor-, brummte er vor sich hin, fügte noch einige Striche auf die Zeichnung, hielt das Buch eine Armlänge von sich weg, um sein Werk nochmals zu begutachten, „Genau, so ist es gut, was meinst du dazu“? Er schaute sich um, aber das Mädchen war nirgends mehr zu sehen. „Hm, jetzt fang ich alter Spinnoggel noch an zu fantasieren“ brummte er vor sich hin, erfreute sich seines Gartens und blätterte nachdenklich in seinem Zeichenbuch. Langsam und bedächtig, Blatt um Blatt.

Der Winter kam, der Winter ging und machte dem Frühling platz und der kam dann auch. Mit Pauken und Trompeten zog er ins Land, in die Gärten, Felder und Wälder. Es grünte und blühte aufs Schönste. Vogelgesänge, Düfte, Blüten und Blumen, rund herum, auch im Garten von unserem Freund. Kaum dass die Sonne die Luft auf angenehme Werte erwärmt hatte, saß er wieder mit Zeichenbuch in seinem Kleinod und skizzierte drauflos. Auch sein Traummädchen malte er wieder zwischen all den Blumen und Blütenzweigen. Das kleine Mädchen hatte er völlig vergessen, bis eines Tages hinter ihm jemand sagte: „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich“. „Verd...“, er schaute sich um, das Wort stockte auf seiner Zunge, da stand doch dieses Mädchen wieder hinter ihm. Ja, genau das Mädchen mit den großen, braunen Augen wie letzten Herbst. „Nun sag mal“... aber das Mädchen ließ ihn nicht weiter sprechen und fiel ihm ins Wort, „du wirst diese junge Frau bald sehen, denn auch sie hat einen Traum geträumt, genau wie du“. Sie hüpfte ums Gartenhaus herum, trällerte ein lustiges Lied vor sich hin und hielt plötzlich eine Rose in ihrer zierlichen Hand, legte diese unserem Freund auf sein noch offenes Zeichenbuch. – Solche Rosen gibt es doch gar nicht in meinem Garten- ging ihm durch den Kopf, „hm, woher hast du denn diese Ros...“, drehte sich um, „...e, verschwunden, jetzt ist dieses verflixte Mädchen schon wieder weg“.

So vergingen viele weitere Tage, einer schöner als der andere. Der allabendliche Traum, das Mädchen und vor allem die Rose gaben ihm zu denken, denn die Rose war da, wahrhaftig und echt. Nein, nicht aus seinem Garten, auch nicht aus einem Garten in der Umgebung, denn dass hatte er nun genauestens nachgeforscht. Um diese Jahreszeit beginnen die Rosen erst Knospen zu bilden. Was ihm besonders zu denken gab, war, dass diese Rose einen betörenden Duft ausströmen ließ und dass sie noch nach Wochen so frisch und schön war, wie an dem Tag, als das Mädchen sie ihm auf sein Zeichenbuch legte.

Und wieder einige Tage später: „Du, dieses Mädchen das du gerade gezeichnet hast, das kenne ich. Morgen, auf Geleise 7, da wirst du sie antreffen“. Unser Freund schüttelte nur müde seinen Kopf, „Liebes Mädchen, du kommst und gehst ohne mir zu sagen wer du bist, du schenkst mir eine Rose, die nicht verblüht und nun erzählst du mir, dass ich morgen das Mädchen aus meinem Traum sehen werde, auf Gleis 7“. Mit dicken Strichen hatte er das schöne Gesicht seiner Traumfrau aufs Papier gemalt und mit jedem neuen Strich, so schien es ihm, sah sie plastischer aus. „Auf unserem Bahnhof gibt es nur zwei Geleise und nicht sieben, mein liebes Kind“, sagte er, während er um seine Zeichnung malte. „Geleise 7 um siebzehn Minuten nach Eins, ganz sicher“, gab die Kleine zur Antwort. Er schüttelte wieder seinen Kopf, „ ganz sicher, so sicher und echt wie die Rose, die ich dir geschenkt habe“. Das Mädchen fing wieder an zu lachen und dieses Lachen liess ihn wieder aufhorchen, - dieses Lachen, woher ist mir nur dieses Lachen bekannt..., das klingt ja..., ja, genau, das klingt wie das Lachen meiner schönen Traumfrau -, „jetzt sag mir mal mein Kind, wer bist du, woher kommst du, was machst du hier“? Das Lachen verlor sich im Garten, aus weiter Ferne hörte er die Worte rufen: “denk daran, morgen auf Geleise 7.......weiiiiiisssssse Jackeeeee“.

Am anderen Morgen erwachte er ganz benommen, denn er hatte kaum ein Auge zugemacht, die Worte des Mädchens gingen ihm nicht mehr aus seinem Kopf. Da waren diese Träume, diese wundersame Rose, die immer noch in einem Väschen auf dem Fensterbrett stand, wo er sie vor vielen Wochen hingestellt hatte, schön und betörend duftend neben seinem Zeichenbuch, dessen zuletzt gezeichnetes Skizzen-blatt aufgeschlagen waren.

Wie im Traum zog es unseren Freund zum Bahnhöfchen ins Dorf hinunter. Beim Bahnübergang konnte er aber bereits feststellen, dass da nur die beiden Geleise, die schon seit eh und je hier waren, vorhanden sind. Zwei Geleis und nicht sieben. Leichter Nebel umhüllte das Bahnhöfchen, - Komisch, das Wetter ist schön, die Luft ist trocken, wieso denn der Nebel. Ihm kamen wieder die Worte des Mädchen in den Sinn: - Geleise 7 um siebzehn Minuten nach Eins, ganz sicher -. „So, jetzt muss ich wissen, was hier gespielt wird, sonst finde ich keine Ruh. Die Züge fahren hier im Halbstundentakt, um Siebzehn nach Eins findet in diesem Bahnhöfchen rein gar nichts statt. Nichts, dass auch nur annähernd der Einfahrt eines Zuges gleich-kommt“.

Der Bahnhof war wirklich eingehüllt von einem leichten Nebel, nicht dicht, nur ein leichtes Nebelchen. Den Bahnsteig erreichte man durch eine Unterführung, denn die ein- und ausfahrenden Züge wurden ab diesem Bahnsteig bedient. Die Bahnhofuhr zeigte Fünfzehn nach Eins, soeben fährt der Regelzug auf Geleise 1 ab. Also in zwei Minuten..., aber was ist denn das, da wo sonst Geleise 2 angeschrieben ist, steht Geleise 7. Das konnte er ganz deutlich erkennen. Ja, da stand eine 7. „Achtung auf Geleise 7 Zugseinfahrt, Vorsicht am Bahnsteig“. Deutlich ist diese Ansage aus dem Lautsprecher zu hören. Von weitem vernahm unser Freund das rattern eines herannahenden Zuges, ja, da gab es keine Zweifel, da kam ein Eisenbahnzug. Aus dem leichten Nebel erscheinen drei hell leuchtende Scheinwerfer einer Lokomotive, da gab es nochmals keine Zweifel, ein schneller Blick auf die Bahnhofuhr, genau Siebzehn Minuten nach Eins, da gab es zum dritten Mal keine Zweifel. Auf dem Geleise 7 fuhr tatsächlich ein Zug ein und kam mit quietschenden Bremsen zum Stillstand. Und aus dem lichten Nebel erschien ein weisses Etwas, ja, nun erkennt er es deutlich, eine Frau in einer weisser Jacke. Nun wurde ihm bewusst, dass es immer noch Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man sich nicht erklären kann, auch nicht zu erklären braucht. Diese geschehen einfach nur, entstehen, sind da. Früher, Heute und auch in Zukunft. Der Nebel löste sich bis auf einen leichten Hauch von Nichts auf. Da standen sich zwei Menschen gegenüber, die einander noch nie gesehen hatten, wahrhaftig und echt, gingen aufeinander zu, umarmten sich und küssten sich auf das Innigste. - Ja, das ist es, dieses Mädchen, die schöne Frau aus meinen Träumen, die braunen grossen Augen, genau die gleichen grossen braunen Augen wie das kleine Mädchen in meinem Garten-, ging es ihm durch den Kopf. Sie schauten einander an, indem sie sich die Hände hielten, schweigend und tief schauten sie sich in die Augen. „Mein Zug fährt um Zweiundvierzig Minuten nach Eins zurück, viel Zeit bleibt uns nicht, nicht traurig sein, wir sehen uns bald wieder mein Schatz“. Und wieder herzten sich die beiden, Zusammentreffen und Abschied in Einem. – Mein Schatz, hat sie zu mir gesagt, mein Schatz -, eine Träne kullerte ihm über die Wange und verlor sich in der Weite seines Gesichtes. Sie löst sich sanft aus seinen Armen, ging auf den Eisenbahnwagen zu, aus dem sie eben erst ausgestiegen ist. Der Eisenbahnwagen an dem langen Zug, der sie wieder in eine weite, ferne Welt entführte. Sie kehrte aber schnell nochmals zurück, um ihn zu küssen um dann endgültig im Innern dieses Wagen zu entschwinden. Der Nebel wurde wieder dichter. Durch die dunkle Fensterscheibe des Eisenbahnwagens konnte er die schöne Frau nur schemenhaft erkennen. Konnte aber genau sehen, wie sie ihm eine Kusshand nach der anderen zuwarf, die er gerne erwiderte. Er getraute sich kaum einen Blick auf die Bahnhofuhr zu werfen, noch drei Minuten. Kurz entschlossen stieg er in den Eisenbahnwagen ein und während er sich durch den engen Gang zwängte, rief er: „Nur noch einen Kuss mein Schatz, ich liebe dich“. Wie in Trance verliess er den Wagen, kaum ausgestiegen, fuhr der Zug vom Geleise 7 ab und tauchte in den leichten Nebel ein, der sich alsbald auflöste.

Nun stand unser Freund da und wusste nicht, ob er geträumt hatte oder nicht. Der Bahnsteig lag in schönstem Sonnenlicht. Ein Fliederbaum aus einem nahe gelegen Garten verströmte einen betörend feinen Duft. „Achtung auf Geleise 2 Zugseinfahrt, Vorsicht und bitte rasch einsteigen“.

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 11. September 2011


Die Eisprinzessin

Bitterkalt aber sehr trocken war dieser Januartag gewesen und die Nacht versprach noch kälter zu werden. Keine Wolke zierte den dunkelblauen Himmel. Der Abendstern funkelte wie ein Diamant. Der Horizont im Westen leuchtete in einem tief orange - roten Ton, als würde die westliche Erdhälfte in Vollbrand stehen. Die kahlen, laublosen Bäume am Horizont streckten gespenstisch ihre Äste aus und boten so einen schwarzen Kontrast zum leuchtenden Firmament. In den warmen Stuben wurden die ersten Lichter angezündet. Dunkelheit überzog nun schnell die Landschaft, nur der Vollmond verbreitete sein kühles, fahles Licht. Das orange Rot am westlichen Horizont wich einem tiefen Schwarz. Immer mehr Sterne begannen zu glitzern und zu funkeln. Aus Osten trieb der Biswind sein schauerliches Spiel. Die munteren Räuchlein, die da und dort aus Kaminen aufstiegen glichen einer wehenden Fahne, alle horizontal gegen Westen weisend, um sich dann nach wenigen Metern in kalter, trockener Luft aufzulösen. Die Luft roch nach Kälte und verbran-ntem Holz. Seit Wochen hielt diese Wettersituation nun schon an, Weiher, Tümpel und träg fließende Bäche haben sich eine eisige Decke zugelegt. So war auch der eigens angelegte Eisweiher am unteren Ende des Dorfes mit einer schönen Eisschicht belegt, die so manchen zum Eislaufen einlud.

In solch kalten Nächten blieb, wer nicht zwingend raus musste, in seiner warmen Stube. Da und dort sah man einen Hund oder eine Katze umher streunen. Die Vögel hatten längst ihre Schlafplätze aufgesucht, sich aufgebläht und so ihr Federkleid über ihre Zehen gezogen. Selbst die Käuzchen sind in letzter Zeit stumm geblieben. Nur der Wind und die Schläge der Kirchenglocken, die alle halbe Stunde die Zeit ansagen, ließen ihre Melodie durch die Nacht tragen. Noch etwas begleitete diese Melodie, hell klingende Schleifgeräusche und leises knacken auf dem Eis des Eisweihers. Ein Mädchen zog unermüdlich ihre Runden über die Eisfläche. Pirouetten, Sprünge und Wirbel, jeder der dies hätte erleben können, hätte über dieses Mädchen seine hellste Freude gehabt. Wie im Traum schwebte sie über das Eis, selbstsicher, wie wenn sie diese Übungen schon von klein auf erlernt hätte. Ihr Atem dampfte in die Kälte der Nacht, das fahle Mondlicht, die Bäume um den Weiher herum und die alte Hütte verzauberten das Ganze in einen Märchentraum.

... Eine wunderschöne Musik spielte auf und auf dem Eis drehte ein ebenso wunderschönes Paar ihre Runden. Das Mädchen schien etwas größer als der Bursche zu ein, beide in schöne warme Kleider gehüllt vollführten sie tänzerisch zur Melodie der Musik ihre Pirouetten, Sprünge und Wirbel. Grosse, brennende Holzspäne rund um den Weiher be- leuchteten die Eisfläche und zusammen mit dem fahlen Vollmondlicht glitzerte und funkelte es, als wäre das Eis mit tausenden von Diamanten übersät. Die alte Hütte war beleuchtet und aus dem schiefen Kaminrohr stieg Rauch auf. Schnurgerade stieg er hoch und entwickelte sich, je höher er stieg, zu einer imposanten Rauchsäule, die im Licht der Fackeln einen rötlichen Schimmer erhielt und mit zunehmender Höhe durch das Mondlicht langsam weißlich verfärbte. Keine Menschenseele war zu erblicken außer den beiden innig mit- einander tanzenden Kindern. Ein einzigartiger Zauber lag über dem Eisweiher, von Kälte keine Spur und trotzdem stiegen aus den überhitzen Kindern je eine große Atemdampffahne, die sich zu einem fast mystischen Nebel über die ganze Eisfläche legte.

Auf der kleinen Bank, die dicht am Eis, direkt neben dem Eingang zur Hütte stand, hatten sie ihre Mäntel deponiert. Die wären ihnen bei all den Figuren die sie tanzten doch nur im Wege gewesen. Drinnen in der Hütte sah man, durch die teils angelaufenen oder mit Eisblumen überzogenen Fenster, einen reich gedeckten Tisch, in dessen Mitte ein schöner Kristallleuchter mit sechs brennenden Kerzen stand. Auf dem Gusseisernen Ofen stand ein dampfender Teekessel.

Die beiden schwebten wie im Traum über dem Eis. Die nahe Turmuhr hörten sie wohl schlagen, zählten aber deren Stundenschläge nicht. Zu sehr waren sie mit sich beschäftigt. Ab und zu küssten sie sich innig, zogen unermüdlich ihre Runden und schienen ihr Glück gepachtet zu haben. Weder Hunger, Durst noch Müdigkeit lockten sie in die warme Hütte, nein, unermüdlich vollführen sie ihren Eistanz...

Am anderen Morgen in der Morgendämmerung war bereits ein Gemeindearbeiter aus dem Dorfe auf seinem Arbeitsweg zum Wäldchen nahe dem Eisweiher unterwegs. Die eisige Kälte liess ihn, wacker in dicke Kleider eingepackt und den Kopf leicht eingezogen, strammen Schrittes seiner Arbeit entgegen schreiten. Auf dem großen Leiterwagen, den er ratternd hinter sich her zog, lagen sein Werkzeug samt seinem Rucksack, gefüllt mit einer Wärmeflasche heißer Tee und zwei Butterbroten samt einem großen Stück Käse. Diese Kälte forderte weiteren Brennstoff. Erstaunt über die frischen Spuren im Eis blieb er kurz stehen, schüttelte seinen Kopf und lief etwas in sich brummend weiter.

Dieser Mann war ein einfacher fleißiger Wittwer, verlor vor zwei Jahren seine über alle geliebte Frau. Seit dem lebten er mit seiner einzigen Tochter und dessen kleiner Bruder in einem armseligen Haus mitten im Dorf. Er verdiente den Lebensunterhalt der für ihn großen Familie mit allerlei Arbeiten. Die Tochter besorgte den Haushalt, hütete nebst der Schule noch ihren kleinen Bruder und war so den ganzen Tag von früh morgens bis spät abends mit Arbeiten beschäftigt. Gerne wäre sie einmal mit den anderen Kindern zum Eislauf gegangen, oder auf eine Wanderung, aber die Situation bei ihr zu Hause ließ dies nicht zu. Die wenige Freizeit die ihnen blieb, verbrachten sie gerne zusammen. So führten sie ein karges aber glückliches Leben. Sie hegte einen großen Traum, wollte einmal eine schöne Eisprinzessin werden, von einem Prinzen geführt übers Eis gleiten. Ja, das wäre schön. Von einem solchen Prinzen geheiratet zu werden, so dass sie alle Sorgen, die auf ihr und der kleinen Familie lastet, ein Ende nehmen würden.

Von weitem hörte man die Holzschläge im Wäldchen. Die Sonne schien den immer noch sichtbaren Vollmond verjagen zu wollen, doch der Kampf war eben so aussichtslos, als wolle man mit Mondlicht Eis zum schmelzen bringen. Fischreiher, Krähen und andere Vögel versuchten im Gefrorenen der nahen Sumpflandschaft ihre Nahrung zu finden. Die Holzschläge wechselten ab mit dem dumpfen Gesang einer Handsäge. Ständig in Bewegung kamen keine Kältegefühle auf. Er freute sich auf die baldige Pause. Sein Frühstück wollte er bei der Hütte am Eisweiher einnehmen. Das machte er immer so. Besonders bei solch schönem Wetter war es eine Freude, dieses im Freien einzunehmen. Die kleine Bank zügelte er jeweils auf die Sonnenseite, so war es ihm möglich, geschützt und in der von der Sonne doch schon angenehmen Strahlungswärme etwas auszuruhen.

Auf dem Rückweg aus dem Wäldchen war er noch einige dutzend Meter von der Hütte am Eisweiher entfernt. Im Hintergrund zeichnet sich das Dorf im Gegenlicht mit ihrem markanten Kirchturm ab. Da der Biswind mit dem ersten Tageslicht etwas zurückgegangen war, stiegen die Räuchlein aus den vielen Kaminen senkrecht gegen den Himmel. Wie Dunst oder lichter Nebel lasten diese in der kalten Luft über dem Dorf. Auf der kleinen Bank neben der Türe von der Hütte sah er ein Bündel liegen, das aussah wie ein Mantel. Dicht daneben ein solches, das aussah wie ein Mensch. Erschrocken ließ er seinen mit Brennholz beladenem Leiterwagen stehen, rannte zur Hütte und sah da ein Mädchen auf der Bank liegen. Seine geliebte Tochter, erfroren, mit einem Zettel in ihrer linken Hand. < Danke für den Tanz mein liebster Prinz... > stand auf diesem Zettel. Der Bleistift lag auf dem Eis, dort auf dem Eis wo der letzte Kreisel von ihren Schlittschuhen ins Eis geritzt war.

© Hans-Peter Zürcher

Donnerstag, 1. September 2011


Das Goldstück

Es lebte einst eine arme Familie in einem bescheidenen Häuschen am Rande einer kleinen Stadt in einfachsten Verhältnissen.

Der Mann betrieb im Erdgeschoss eine kleine Schuhmacherei, die jedoch nicht viel einbrachte, denn von den wenigen Schuhreparaturen, die er ab und zu in Auftrag bekam, konnten sie weder reich werden, noch die notwendigen Ausbesserungen an ihrem Häuschen erledigen. Neue Schuhe konnte sich in dieser Gegend kaum einer leisten.

Die Frau versponn Wolle von Flachs, das am anderen Ende des Städtchens wuchs und verdiente so einen kleinen Batzen dazu. Wenn es das Wetter zuließ, arbeitete sie draußen auf dem Bänkchen vor dem Häuschen sitzend. Das Kopfsteinpflaster neben der Straße reichte bis vor die Haustüre. Kein Zaun war dazwischen und so war es ihr möglich, sich ab und zu mit einem der wenigen Menschen, die hier vorüberzogen, zu unterhalten.

So lebten die beiden bescheiden, aber glücklich und viele Jahre zogen ins Land. Die Freude war sehr groß, als endlich ihr größter Wunsch in Erfüllung ging und die Frau einen gesunden Jungen gebar. Just an diesem Tag, als die Aufregung am größten war, hielt ein Wagen vor ihrem Häuschen. Ein nobler, junger Herr stieg aus und verlangte ein neues Paar Schuhe aus dem besten und teuersten Material, was nur aufzutreiben war. Der Schuster war sichtlich unruhig und als ihn der noble Herr nach dem Grund dieses Verhaltens ausfragte, erzählte er ihm von der Geburt seines ersten und einzigen Sohnes.

Nachdem der Schuster das Maß für die Schuhe genommen hatte und das Modell besprochen war, zog der Herr einen Lederbeutel aus seiner Rocktasche und reichte dem Schuster eine große Goldmünze mit den Worten: „Für deinen Sohn ist diese Münze bestimmt. Sie soll ihn eines Tages reich machen und Glück soll ihm beschieden sein. Den Preis der Schuhe wollen wir bestimmen, wenn sie fertig sind.“

Ehe der Schuster etwas erwidern konnte, war der noble Herr samt seinem Wagen verschwunden.

Nach wenigen Wochen waren die schönsten Schuhe, die unser Meister je hergestellt hatte, fertig. Wunderschön waren sie geworden, Zeugen von der Freude, einen Sohn geschenkt bekommen zu haben. Nur, die Schuhe wurden nicht abgeholt. Nicht nach einem Monat, nein, auch nicht nach einem Jahr. „Nun ja“, sagte sich der Schuster. „Wir wurden ja mehr als belohnt. Ein Junge, so lieb und schön und ein großes Goldstück. Das ist viel mehr, als und eigentlich zustehen würde.“

So lebten sie weiter in großer Armut, aber glücklich und zufrieden. Das Häuschen wurde von Jahr zu Jahr baufälliger, überall zog und regnete es hinein. Die kaputten Fenster und das löchrige Dach konnten nur notdürftig repariert werden. Sie hegten und pflegten den kleinen Jungen, der allmählich zu einem hübschen Burschen heranwuchs. Von seinem Vater erlernte er das Handwerk des Schuhmachers. Als es an der Zeit war, dass der junge Mann auf Wanderschaft gehen musste, um seinen Meisterbrief zu erwerben, kehrte große Trauer in die Familie ein. Denn nicht nur die Eltern empfanden großen Schmerz bei der Trennung, nein, auch ihr Sohn war von Trauer erfüllt.

Beim Abschied gab ihm sein Vater das große Goldstück, mit den Worten: „Diese Münze ist für dich bestimmt. Sie soll dich eines Tages reich machen und Glück soll dir beschieden sein. Dies meinte vor vielen Jahren ein junger nobler Herr, der die Schuhe bestellt hat, die noch immer hier im Schrank stehen und darauf warten, dass sie abgeholt werden.“ Die Münze gut verstaut und das Bündel geschnürt, zog der Junge in die weite Welt hinaus, mit Tränen in den Augen, aber Liebe im Herzen. Liebe zu seinen Eltern, die er zurücklassen musste. Die Eltern standen eng umschlungen, ebenfalls weinend, aber winkend vor ihrem Häuschen. „Da geht nun unser Goldstück, unser liebstes Kind in die Welt hinaus. Möge es beschützt sein auf seiner großen Reise und glücklich, wie auch gesund nach Hause zurückkehren.“

Ja, glücklich und gesund kehrte er nach vielen Jahren zurück an diesen nun so  traurigen Ort. Denn das, was er von seinem alten Häuschen, seiner einstigen Heimat, vorfand, war nur mehr eine Ruine. Mutter und Vater waren vor Trauer und Kummer über den Wegzug ihres über Alles geliebten Sohn verstorben.

Nichts Brauchbares mehr fand er im und ums Haus vor, außer in der Werkstatt, da fand er im kleinen Schrank verstaubte, aber neue Schuhe. Und in seinem bescheidenen Reisegepäck befand sich nebst seinem Meisterbrief auch immer noch das Goldstück, das sein Vater ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Liebevoll war in ein altes Taschentuch eingewickelt. „Diese Münze ist für dich bestimmt. Sie soll dich eines Tages reich machen und Glück soll dir beschieden sein. Dies meinte vor Jahren ein nobler Herr, der bei mir die Schuhe bestellt hat, die noch immer hier im Schrank stehen und darauf warten, abgeholt zu werden“, hörte er ganz deutlich seinen Vater erzählen.

Mit Tränen in den Augen saß er auf dem wackligen Bänkchen vor dem Häuschen, welches einst seine Heimat, sein Elternhaus gewesen war und nun nur noch eine Ruine voller Erinnerungen darstellte. Wie gerne hätte er seinen geliebten Eltern von seiner Reise erzählt. Ihnen stolz seinen Meisterbrief vorgeführt, das Goldstück dem Vater gezeigt, mit den Worten: „Schaut her, es hat mich all die lange Zeit glücklich gestimmt, reich gemacht. Reich an Erfahrung, reich an Liebe, reich in Herz und Seele und gutes Geld habe ich auch noch verdient und für euch aufgespart.“ Ja, genau dies wollte er ihnen sagen, und dass er sie über alles lieb habe, auch das wollte er ihnen sagen. Und dass er ihnen dankbar war, dass er all das erleben hatte dürfen, dass sie ihn glücklich gemacht hatten. Und nun?

In diese Gedanken versunken bemerkte er den Wagen nicht, der vorgefahren war. Ein alter, nobler Herr in Begleitung einer jungen, schönen Frau mussten schon längere Zeit vor ihm gestanden haben. „Guten Tag“, sagte die Dame zu ihm. „Ist das nicht die Schuhmacherei, in der mein Vater vor vielen Jahren Schuhe herstellen ließ, die er nie abgeholt hat?“ Erstaunt schaute er die beiden an und verstand nicht, was die Dame da zu ihm sagte. „Hier, ja, hier ist es gewesen. Den Boden, den erkenn ich. Diese Kopfsteine“, sagte der Herr mit schwacher Stimme. ´Ja, die verstaubten Schuhe im Schränkchen´ ging ihm nun plötzlich durch den Kopf. Wie im Traum ging er und ohne ein Wort zu sprechen ins Häuschen zu dem kleinen Schrank, holte die neuen, verstaubten Schuhe heraus und stellte sie auf das Bänklein. Er nahm das Taschentuch, in dem das Goldstück eingewickelt war, hervor und polierte damit die Schuhe, dass sie glänzten wie das Goldstück, das eben aus dem Taschentuch fiel und auf den Boden mit einem leisen, hellen Klang aufschlug.

Der alte Herr nahm tastend und suchend das Goldstück vom Boden auf und betrachtete eine Weile die Münze – nein, nicht mit seinen trüben Augen – er betastete sie mit den Fingerspitzen beider Hände. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, seine Augen begannen trotz der Stumpfheit zu leuchten. „Ja, jetzt bin ich mir ganz sicher. Dieses Goldstück schenkte ich dem Meister zur Geburt seines Sohnes, dass er es ihm aufhebe. >Für deinen Sohn ist diese Münze bestimmt. Sie soll ihn eines Tages reich machen und Glück soll ihm beschieden sei<, das habe ich ihm damals gesagt.“ Eine Träne kullerte ihm über die linke Wange, die ihm die junge Dame zärtlich mit ihrem Daumen wegwischte.

Nun hatte unser junger Schuhmachermeister auch verstanden, wer der noble Herr, der erblindet zu sein schien, war. Er gab sich als Sohn dessen zu erkennen, der diese Schuhe anfertigte und für ihn damals die Münze hütete, bis er zur Erlangung des Meisterbriefs von zu Hause auszog. „Hier, Eure Schuhe, werter Herr.“ Der noble Mann streckte dem Jungen das Goldstück entgegen. „Hier, junger Mann. Euer Goldstück.“ Er nahm die Schuhe an sich, betastete und befühlte sich, roch an ihnen und nickte anerkennend. „Ausgezeichnete Arbeit, ob sie mir wohl passen?“. Und ob sie noch passten. Große Freude überkam ihn. „Ausgezeichnet...ausgezeichnet...!“ Immer wieder dieses Wort murmelnd, während ihn die junge Dame zur Straße und zurück führte ihn. „Ja, ausgezeichnet! Nun müssen wir nur noch über den Preis sprechen, junger Mann.“ „Nein nein, mein Herr. Dieses Goldstück war mehr als das, was diese Schuhe kosten würden. Diese Münze brachte unserem bescheidenem Heim Glück. Wohl keinen Wohlstand, aber Glück und Liebe für unsere Familie. Und sie machte mich reich. Reich an Erfahrung und glücklich. Und so sollen nun diese Schuhe auch Euch glücklich machen, mein Herr.“

Dass die hübsche, junge Dame und der junge Bursche sich gefunden haben und sich ineinander verliebten, muss ich wohl den geneigten Lesern und Leserinnen nicht weiter erzählen, dass haben sie sicher längst gespürt. Macht euch nun selbst ein Bild davon, wie diese Geschichte weiterging…

Glück und Liebe soll diesem jungen Paar verheißen sein, ein Leben lang.


Hans-Peter Zürcher